Mercedes-Benz C-Klasse (W 202) Ein Karrieretyp wird Oldtimer

Von sp-x 5 min Lesedauer

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Mit dem „Baby-Benz“ alias Typ 190 erweiterte Mercedes sein Modellprogramm nach unten. Aber erst mit der etwas größeren C-Klasse von 1993 und adrenalinhaltigen AMG-Modellen etablierten die Stuttgarter endgültig einen Fixstern für Premium und Prestige in der Mittelklasse. Jetzt wird dieser charismatische Karrieretyp 30.

Der Nachfolger des Baby-Benz, alias 190 (E), wird jetzt zum Oldtimer. Ab März 1996 stellte man der C-Klasse auch einen Kombi (T-Modell) zur Seite.
Der Nachfolger des Baby-Benz, alias 190 (E), wird jetzt zum Oldtimer. Ab März 1996 stellte man der C-Klasse auch einen Kombi (T-Modell) zur Seite.
(Bild: Mercedes-Benz)

Die Mauer zwischen Ost und West war weg, die Europäische Union wurde gegründet, manch modebewusster Mann trug plötzlich Kajal, die Girlie-Kultur avancierte zur Massenbewegung – und die konservative Marke Mercedes wurde cool. Im Jahr 1993 waren disruptive Veränderungen fällig, und die erste Mercedes-Benz C-Klasse (W 202) spiegelte diese Neuausrichtung wider. Schon der vom Volksmund „Baby-Benz“ genannte Vorgänger-Typ 190 hatte die Marke mit dem Stern in der dynamischen Mittelklasse etabliert, also dort, wo bis dahin BMW 3er oder Audi 80 (quattro) das Sagen hatten. Aber mit der C-Klasse ging Mercedes einen Schritt weiter.

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Gemeinsam mit dem Tuner AMG entwickelten die Stuttgarter Hochleistungssportler, V8-Motoren wie in der staatstragenden S-Klasse und Vierzylinder mit kraftvollen Roots-Kompressoren als Reminiszenz an die furiosen „Roaring Twenties“ mit Kompressor-Rennwagen. So viel Sportlichkeit in der Mittelklasse überraschte sogar die Fachwelt. Allerdings konnte Mercedes gar nicht anders, denn seit Ende der Achtzigerjahre zogen sich dunkle Wolken über dem Stuttgarter Stern zusammen. 1992 verkaufte BMW mehr Autos als die Daimler-Benz AG, die sogar erstmals seit 30 Jahren Arbeitsplätze abbauen musste. Eine neue, nach „Klassen“ strukturierte Nomenklatur entsprechend dem Vorbild der 1972 lancierten S-Klasse und die C-Klasse als erste Fahrzeugfamilie nach diesem Typen-Muster sollten es nun richten.

Ein leuchtender Stern in dunkler Zeit

Die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse über Mercedes, die Pkw-Division des Technologiekonzerns Daimler-Benz, lasen sich Anfang 1993 dramatisch: Von „noch höheren Verlusten als erwartet“ und „miserablen Absatzerwartungen“ wurde geschrieben. Allerdings hatten die Medien den Erfolg der neuen C-Klasse unterschätzt. Mit der viertürigen Limousine W 202 und dem 1996 nachgeschobenen Kombi T-Modell (S 202) lancierte Mercedes einen Fixstern in der Mittelklasse, der bis zur Jahrtausendwende Maßstäbe setzte. Keiner der vielen aus anderen Nationen neu hinzu gekommenen Premium-Kontrahenten konnte gegen den schwäbischen Karrieretyp punkten. Die C-Klasse blieb mit 1,85 Millionen Einheiten in nur gut sieben Jahren der Bestseller. Eine Stückzahl, für die der Vorgänger Mercedes 190 drei Jahre länger brauchte. Mehr noch: Die C-Klasse positionierte Mercedes-Benz schon 1993 wieder auf der Poleposition im deutschen Premium-Produktionsranking und konnte sogar die Rückgänge bei der alternden E-Klasse (W 124) und der S-Klasse (W 140) ausgleichen. Tatsächlich orientierte sich die repräsentative Designsprache der unter Stardesigner Bruno Sacco gezeichneten C-Klasse auch an der kurz zuvor eingeführten S-Klasse.

So traf die Baureihe 202 den Nerv der hedonistischen Gesellschaft der Neunziger weit besser als es die ambitionierten Charaktertypen von Alfa (156), Jaguar (S-Type), Lancia (Lybra), Lexus (IS), Rover (75), Saab (9-3) oder Volvo (850) vermochten. Auch gegen die preiswerteren Audi A4 und den in vielen Karosserievarianten verkauften BMW 3er konnte sich der charismatische Mercedes im Zeichen des C – der Buchstabe stand für „Compact“ und die Typenzahl von C 180 bis C 55 für den Hubraum – erstaunlich gut behaupten. Die Entwicklung der Baureihe 202 begann schon Mitte der Achtziger, als der Mercedes 190 gerade vom Shootingstar zum Dauerbrenner mutierte und die Käufer mancher Modelle im Handel noch um die Zuteilung eines Exemplars bettelten. Ja, so etwas gab es tatsächlich, sogar Aufpreise für zuteilungsreife Kaufverträge wurden im Kleinanzeigenteil der Zeitungen gefordert – etwa für Racer wie den 190 E 2.3-16. Vorbilder, denen die C-Klasse mit verschiedenen AMG-Versionen folgte. Wie ließ sich diese Flamme der Begeisterung in die Zukunft tragen?, fragte sich das Entwicklungsteam der künftigen C-Klasse. Denn mit dem Auto wurde allmählich nicht mehr eine hierarchische Position in der Gesellschaft dokumentiert.

Der erste „Baby-Benz“ auch als Kombi

Prestige und Protz von großen, schweren Karossen erteilten die europäischen Yuppies der späten Achtziger eine Absage. Gefragt waren stattdessen individuelle Ausstattungen. So wie sich damals Diäten von FdH über Atkins bis Low Fat zu Philosophien entwickelten, boomten aerodynamische Leichtbaukonstruktionen in der Automobilwelt. Deshalb wurden Schwergewichtler wie die unter Bundeskanzler Helmut Kohl staatstragende S-Klasse (W 140) in Deutschland als zu füllig kritisiert, aber die C-Klasse mit Bodyshaping durch Bruno Sacco galt als Blickfang. Dazu trugen vier verschiedene Design- und Ausstattungslinien bei: Classic, Esprit, Elegance und Sport setzten individuelle Akzente, hinzu kam ein AMG-Stylingpaket. Heute gibt es solche Differenzierungen sogar für preiswerte Kleinwagen. Damals aber war so viel Individualismus ein Novum – vor allem bei einer konservativen Marke wie Mercedes. Auch das 1996 aufgelegte erste T-Modell der C-Klasse profitierte von diesem Individualisierungsprogramm und reüssierte zudem als vorbildlich geräumiger Lifestylelaster mit bis zu 1.510 Liter Stauraum.

Zu den Technik-Highlights zählten neue Sicherheitsfeatures – da versuchte die C-Klasse Anschluss an den Volvo 850 zu finden. Das zeigten serienmäßiger Fahrer-Airbag, Seitenaufprallschutz, ABS und später auch Sidebags, Gurtkraftbegrenzer sowie der elektronische Bremsassistent BAS. Regelrechte Paukenschläge setzte das Motorenprogramm im kompakten Mercedes: Die Dieselfraktion freute sich 1995 über den C 250 als ersten deutschen Turbodiesel-Pkw mit Vierventiltechnik und Ladeluftkühlung sowie 110 kW/150 PS für sportive Fahrleistungen. Zwei Jahre später führte dann der 92 kW/125 PS abgebende C 220 CDI die laufruhige und effiziente Common-Rail-Technik in die deutsche Pkw-Produktion. Weit in die Zukunft wiesen auch vollelektrische C-Klasse-Modelle, die allerdings wie zuvor beim Modell 190 nur als Versuchsfahrzeuge stromerten.

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AMG: eine feste Größe im Modellprogramm

Für alle Leistungsfetischisten hielten nicht nur Tuner wie Brabus ein wildes Biest (300 kW/408 PS im C V8) bereit. Mercedes hatte 1990 eine Kooperation mit AMG vereinbart und präsentierte drei Jahre später den optisch dezenten C 36 AMG als erstes Ergebnis. Ein Wolf im Schafspelz mit 3,6-Liter-Reihensechszylinder und 206 kW/280 PS Leistung – mehr Power, als ein Porsche 911 Carrera bereitstellte. Nur ein Jahr später dominierte die AMG-C-Klasse mit einem 294 kW/400 PS leistenden 4,2-Liter-V8 die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) – nachdem Alfa Romeo 1993 den Mercedes 190 vom Thron des Champions gestürzt hatte. Und in der Formel 1 wurde ab 1996 ein C 36 AMG als Safety Car eingesetzt. Rennsport-Faszination, die Mercedes mit Sondermodellen feierte – und 1997 mit dem C 43 AMG zum vorläufigen Zenit führte. Denn dieser Bolide tobte mit einem 225 kW/306 PS freisetzenden V8 um Kurven und über die linke Spur, bis er nur ein Jahr später vom C 55 AMG getoppt wurde. Mittelklasse ist bei Mercedes nicht mittelmäßig, sondern immer auch ein wenig S-Klasse, das stellte schon die erste C-Klasse klar. Kein Wunder, dass heute die V8-Versionen in der Klassikerszene besonders begehrt sind.

 

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